Ohne Vorliegen der Beschlussvorlagen aus dem Bundestag, so die Kritik von Dr. Haseloff als Bundesratspräsident zu Beginn der Sitzung am 08. Juli 2022, hat der Bundesrat das „Osterpaket“ angenommen.[1]
Mit faulen Eiern im „Osterpaket“ haben Bundestag und Bundesrat ungeachtet der europarechtlichen Vorgaben, wie der Wasserrahmen-, FFH- und Umwelthaftungsrichtlinie die Wasserkraftlobby bedient. Scheinbar ist den Bundesländern nicht klar, dass nach dem bereits laufenden Pilotverfahren wegen Verfehlung der Ziele der Wasserrahmenrichtlinie, unweigerlich ein Vertragsverletzungsverfahren folgt und die Sanktionen nicht der Bund, sondern die Länder anteilig tragen müssen.
„Das Osterpaket war im ersten Entwurf ambitioniert, am Ende enthielt es faule Eier. Es ist wissenschaftlich belegt, dass auch beim Passieren sogenannter „fischfreundlicher", innovativer Turbinen, jeder zweite Fisch tödliche Verletzungen erleidet. Zusätzlich werden ganze Lebensräume durch Querverbauung zerschnitten und für Wanderarten unpassierbar. Im Hinblick auf die massiven ökologischen Schäden und den geringen Stromertrag müsste man eher über Rückbau als über Förderungen nachdenken.
Die derzeitige Regelung verstößt aus unserer Sicht massiv gegen die geltenden Umweltvorgaben der EU und wird voraussichtlich empfindliche Vertragsstrafen für Deutschland nach sich ziehen.“, so Klaus-Dieter Mau, Präsident des Deutschen Angelfischerverbandes.
Was ist passiert?
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In Drucksache 20/1630: Die Neuregelung des § 2 EEG 2023 „überragendes öffentliches Interesse“ sollte nach verantwortungsvoller Abwägung des Umweltministeriums in den § 31 Absatz 2 Wasserhaushaltgesetz (WHG) nicht aufgenommen werden. Maßgeblich hierfür sei, dass mit Blick auf die komplexen gewässerökologischen Auswirkungen von Veränderungen physischer Gewässereigenschaften bei der Errichtung von Wasserkraftanlagen in Übereinstimmung mit den Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie 2000/60/EG (WRRL) das übergeordnete öffentliche Interesse unter maßgeblicher Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls zu bewerten ist. (Drucksache 20/1630).
In Drucksache 20/2345 fordern CDU/CSU: Die Kapazitäten der Wasserkraft mit ihren Vergütungen zu erhalten und Modernisierungen weiterhin zu ermöglichen, anstatt diese abzuschaffen. Auch die Wasserkraft muss, wie die anderen Erneuerbaren, im „überragenden öffentlichen Interesse“ stehen.
In Drucksache 20/2580 (neu) wird die Wasserkraft schließlich doch dem § 2 EEG mit „überragenden öffentlichen Interesse“ zugeordnet.
In Drucksache 20/2656: Künftig können daher weiterhin kleine Wasserkraftanlagen gefördert werden (sowohl Neuanlagen als auch Bestandsanlagen im Fall einer Leistungserhöhung). Außerdem kann künftig die Förderung nicht eingestellt werden, wenn die Wasserkraftanlagen die wasserrechtlichen Anforderungen nicht einhalten. Auch ein gesonderter Nachweis der Einhaltung dieser Kriterien vor Inbetriebnahme ist für die EEG-Förderung nicht erforderlich. Die zuständigen Wasserbehörden können aber – wie bisher auch – die notwendigen wasserrechtlichen Maßnahmen ergreifen und die wasserrechtliche Zulässigkeit sicherstellen.
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Der Bundestag beschloss nach langen Diskussionen am 07. Juli 2022 ein „Gesetz zu Sofortmaßnahmen für einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien und weiteren Maßnahmen im Stromsektor“. Bei dem von der CSU durchgesetzten „überragenden öffentlichen Interesse“ auch für kleinste Wasserkraftanlagen geht es nicht nur um die marginalen Stromerzeugungen, sondern es dient aus Sicht des DAFV überwiegend Investoren aus der Mittelschicht, wozu auch Abgeordnete des Bundestages und der Landtage zählen, zu steuerlichen Verlustabschreibungen. Die fehlende Wirtschaftlichkeit von Anlagen der kleinen Wasserkraft trotz EEG-Zulage hat die die Bundesregierung bereits vor Jahren im EEG-Erfahrungsbericht festgestellt.
In einer Pressemeldung vom 06.07.2022 aus dem Bundestag, wird Dr. Silke Launert, MdB wie folgt zitiert: „Der Einsatz und vehemente Protest der CSU gegen die Pläne der Ampel-Koalition haben sich gelohnt. In letzter Minute hat die Ampel-Koalition ihre Pläne aufgegeben, den kleinen Wasserkraftanlagen, die eine Leistung unter 500 kW liefern, die EEG-Förderung zu entziehen. Zudem wollte sie die Wasserkraft als einzige erneuerbare Energiequelle nicht mehr als im „überragenden öffentlichen Interesse“ einstufen, was weitreichende Folgen für den Ausbau und Bestand von kleinen und großen Wasserkraftanlagen gehabt hätte“.
Nachdem im § 40 EEG 2023 die EEG-Vergütung nicht mehr an die gesetzlichen Vorgaben des Wasserhaushaltsgesetzes § 33, 34,35 gebunden werden soll, wird in Drucksache 20/2656 vom 6.7 2022 vermerkt, dass die zuständigen Wasserbehörden, wie bisher auch die notwendigen wasserrechtlichen Maßnahmen ergreifen können, um die wasserrechtliche Zulässigkeit sicherstellen. Das haben sie mit wenigen Ausnahmen 20 Jahre lang nicht getan.
In den vergangenen Jahren wurden den Verbrauchern Milliarden Stromkosten auferlegt, deren Erlöse durch das EEG vorwiegend privatisiert wurden, ohne dass spürbare ökologische Gegenleistungen messbar sind. Beispielsweise konnten so Wasserkraftbetreiber mit einem kleinen PVC-Rohr als Fischabstieg, bestätigt von fragwürdigen Umweltgutachtern, lukrative Wasserkraftanlagen betreiben. Mit den neuen Regelungen im EEG 2023 steht zu befürchten, dass diese Praxis noch größeren Stil fortgesetzt wird. So werden mit der aktuellen Regelung auch EEG-Zulagen gezahlt, wenn die Anforderungen des WHG nach den §§ 33, 34, 35 des Wasserhaushaltsgesetzes (Mindestwasser, Durchgängigkeit, Fischschutz) nicht erfüllt sind. Schließlich beschloss der Bundesrat, dass auf Basis wissenschaftlicher Potenzialanalysen ein Ausbauziel für die Stromerzeugung aus Wasserkraft für das Jahr 2030 entwickelt werden soll. Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass aktuelle Studien mindesten die dreifache Anzahl der vorhandenen 8000 Wasserkraftanlagen als Ausbaupotenzial sehen.
Energieziele auf Kosten der biologischen Vielfalt
Im Mai 2022 stellte der Umweltausschuss im Europa-Parlaments fest:
„Die Ziele der Emissionsminderung und der Klimaneutralität sollten nicht auf Kosten der biologischen Vielfalt gehen. Laut dem Bericht der Europäischen Umweltagentur über den "Zustand der Gewässer" sind die Flüsse in der EU überwiegend in einem schlechten Zustand. Neben der chemischen Verschmutzung stellen "energiebedingte Belastungen und Wasserkraftanlagen" die größte Bedrohung für diese wichtigen Ökosysteme dar. Außerdem gelten die europäischen Flüsse als die am stärksten fragmentierten Süßwasserökosysteme der Welt. Vor allem kleine Wasserkraftwerke können die in der Strategie zur Erhaltung der biologischen Vielfalt festgelegten Ziele gefährden. Die Auswirkungen der Wasserkraft auf die biologische Vielfalt sind beträchtlich. Seit 1970 sind die wandernden Fischarten um 93 Prozent zurückgegangen.
Änderungsanträge zur Revision der Richtlinie über erneuerbare Energien 2018/2001 liegen bereits im EU-Parlament und sehen für "Nachhaltigkeitskriterien für Wasserkraftwerke" vor, den Neubau und die Förderung von Wasserkraft kleiner 10 000 KW wegen der extrem schädlichen ökologischen Auswirkungen und der marginalen Stromerzeugung nicht mehr zuzulassen.
Aktuelle Situation in Deutschlands Flüssen
Der überwiegende Teil der Wasserkraftanlagen hat bis heute keine Fischaufstiegshilfen und die Mehrheit der bestehenden Fischaufstiege ist schlecht konzipiert. Dass bei Ausleitungskraftwerken sowohl am Querbauwerk in der Mindestwasserstrecke als auch im Kraftwerksgraben, wo die große Mehrzahl der Fische strömungsanteilig aufsteigt, zwingend Fischaufstiege angeordnet werden müssen, ist bisher den meisten Behörden entgangen.
In größeren Flüssen bedarf es beidseitiger Fischaufstiege. Wandernde Fische haben sonst geringe Chancen in ihre Laichgebiete bzw. Aufwuchshabitate, zu gelangen. Fischschutzrechen ohne jegliche Ableitung der Fische in das Unterwasser sind die Regel. Dem Abwanderungsdrang folgende Fische, die nicht durch den Rechen passen und den Schädigungen der Turbine ausgesetzt werden, erleiden durch Anpressung oftmals den „Rechentod“.
Technisch ist für Turbinen bis max. 100 m³/s Schluckvermögen ein Schutz größere Fische möglich. Kleinfische können praktisch nicht geschützt werden.
Den weltweit größten Datensatz zu Fischverletzungen in sogenannten „innovativen Wasserkraftanlagen“ haben die Wissenschaftler des Lehrstuhls für aquatische Systembiologie der Technischen Universität München in den vergangenen Jahren erhoben und jetzt abschließend ausgewertet.[2]
Bis zu 83 % der untersuchten Fische starben beim Turbinendurchgang durch Kollision und plötzliche extreme Druckveränderungen. Im Mittel wurde fast jeder zweite Fisch geschädigt.
Die Forscher waren besonders überrascht, dass selbst wenn die einzelnen Stäbe am Rechen nur zwei Zentimeter weite Zwischenräume haben, 90 bis 95 Prozent der Fische (insbesondere kleiner Fische) den Rechen passierten. Anerkannte theoretische Modellierungen gingen bisher von einem viel geringeren Anteil aus. Fazit: Auch moderne Wasserkraft gibt's nicht ohne Fischschäden.[3]
[1] https://www.bundesrat.de/DE/service/mediathek/mediathek-node.html?cms_rubrik=2016335
[2] Mueller, M., Knott, J., Pander, J., & Geist, J. Experimental comparison of fish mortality and injuries at innovative and conventional small hydropower plants. Journal of Applied Ecology. https://besjournals.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/1365-2664.14236
[3] https://www.br.de/nachrichten/wissen/sind-wasserkraftwerke-doch-nicht-fisch-schonend-neue-forschungserkenntnisse,TAw9EOc